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Didaktische und soziologische Aspekte zur Arbeit mit ChatGPT in der beruflichen Erwachsenenbildung

In der Unterrichtsarbeit mit Erwachsenen in der beruflichen Rehabilitationsausbildung, wo ich für die Themen Digital Literacy und E-Commerce zuständig bin, ist ChatGPT immer wieder im Unterricht aufgetaucht – und zwar informell bei der Arbeit der Teilnehmer:innen selbst. Diese haben, unaufgefordert, immer wieder ChatGPT parallel zu ihren anderen Arbeitsprogrammen geöffnet und bei verschiedenen Arbeitsaufgaben von sich selbst aus zum Einsatz gebracht. Zwar stellen KI-Tools im globalen Kontext eine neue Ebene der Ökonomisierung und Neoliberalisierung im Zuge der allumfassenden Plattformökonomie dar, so zeigte diese Erfahrung aber auch die positiven Aspekte welche im Rahmen eines Unterrichts mit ChatGPT möglich sind.[1] Zudem haben sich im Rahmen meines Unterrichts und der Beobachtung der Teilnehmer:innen auch interessante technisch-soziologische Aspekte gezeigt, welche ich hier in diesem Text kurz ansprechen möchte.

Niederschwelliges UX-Design

Es hat sich im Rahmen des Unterrichts vor allem gezeigt, dass Teilnehmer:innen mit wenig Erfahrung mit IKT-Tools ChatGPT meist ohne Probleme nutzten konnten. Das heißt, sowohl die Hürde der Anmeldung zur Plattform, als auch die Ausführung von Prompts war für die meisten Teilnehmer:innen keine Barriere, die sie nicht überwinden konnten. Zusätzlich dazu haben sich zwei Aspekte gezeigt, welche ich als Benefit für Personen mit wenig (digitaler) Lernerfahrung sehe. Ein Aspekt ist, dass Teilnehmer:innen ihre Fragen an das Tool in ihrer vertrauten Sprache stellen können und sich zur Ausführung eines Befehls keine neue (Fach-) Sprache aneignen müssen. Vor allem bei Personen mit wenig Lernerfahrung ist die Verwendung von unbekannten Sprachelementen, Fremdsprachen, Technik-Sprache und unbekannten Formulierungen oft ein essenzieller Exklusionsgrund.[2] Der zweite positive Aspekt bezieht sich darauf, dass ChatGPT eine recht breite Aufnahmefähigkeit hat, was die Formulierung von Prompts betrifft und sprachliche Eigenheiten, Fehler in der Formulierung, etc. weitestgehend adaptieren kann.

Entmystifizierung und Empowerment

Ein weiterer Punkt der sich in der Arbeit mit ChatGPT und den Teilnehmer:innen gezeigt hat, ist das Erkennen der Teilnehmer:innen, was „er“ kann oder nicht kann. Auf spielerische Art und Weise haben Teilnehmer:innen ChatGPT Aufgaben gegeben, welche sie in unterschiedlichen Unterrichtseinheiten zu absolvieren hatten. Hier hat sich bei den meisten eine bestimmte Ernüchterung eingestellt, bzw. eine Erkenntnis, dass die Arbeit mit ChatGPT eine bestimmte Kommunikations- und Interaktionsart erfordert, auf die sie sich dann selbst auch einstellen und anpassen mussten. Ein Teilnehmer hat etwa ChatGPT gebeten, sein Bewerbungsschreiben auf Fehler gegenzulesen und von der Formulierung her zu verbessern. Ein Ergebnis war dabei, dass sich der Text nicht verändert hatte oder auch, dass der Text weniger verständlich wurde. Genau hier ist auch der Interaktionsprozess von Teilnehmer:innen und dem KI-Tool zu finden und kann, wenn man die Technologie positiv beurteilen möchte, die Bewusstwerdung von interaktiven, technischen Mensch-Computer-Prozessen fördern. Gemeinsam mit ChatGPT und der Formulierung der jeweiligen Prompts entsteht eine neue Interaktionsart zwischen der lernenden Person und dem technischen KI-Tool und dabei wird das Verständnis der lernenden Person geschärft, wie Arbeitsprozesse und der Output eines gemeinsamen Arbeitsprozesses akkordiert, gesteuert und gelenkt werden muss. Aus dieser Perspektive ist man auch sehr stark an die Arbeit der Science Studies erinnert, allen voran Karin Knorr-Cetina und Bruno Latour, welche schon früh auf die Sozialität und den Anthropomorphismus von technischen Geräten in der Einbettung des menschlichen Handelns betont haben.[3], [4] Genau diese „Vermenschlichung“ von Technik und die Sozialität von Objekten (Knorr-Cetina) hat sich auch bei der Beobachtung der Teilnehmer:innen gezeigt und wäre sicherlich interessant im Kontext der aktuellen Technikforschung näher zu beleuchten.[5]

Zum didaktischen Einsatz von ChatGPT

Zum didaktischen Einsatz von ChatGPT lässt sich aus meiner Erfahrung sagen, dass sich dieser vor allem in Gruppenarbeiten und Breakout-Sessions bewährt hat. In der beruflichen Rehabilitationsausbildung ist aus verschiedenen Gründen die Wahl des Frontalunterrichts, vor allem wegen der langen durchgängigen Unterrichtszeiten über einen ganzen Tag, oft nur selten die optimale Wahl, um Inhalte adäquat zu präsentieren (wie wohl auch in anderen Unterrichtssettings). Deshalb werden oft in Gruppen und kleinen Arbeitssessions Themen erarbeitet, nach einer gemeinsamen Besprechung oder einem kurzen Inputteil, aufbauend auf eigenem Wissen, Recherche, Textgrundlage oder einem Erklärvideo. Nachdem die Erfahrung gemacht wurde, dass Teilnehmer:innen von sich selbst aus ChatGPT verwenden (und auch anderen freie KI-Tools), wurde ChatGPT in den Canon dieser didaktischen Unterrichtstools miteinbezogen. In Anlehnung an den Punkt der Anthropomorphisierung zeigte sich hier, dass ChatGPT als eine Art zusätzlicher Ratgeber bei Gruppenarbeiten eingebunden werden konnte. So haben Teilnehmer:innen ihr Wissen zu einem bestimmten Thema auf Grundlage ihres eigenen Wissens erarbeitet, danach mit einem Text oder Video zu diesem Thema abgeglichen und abschließend ChatGPT befragt, was „er“ von diesem Thema halte und welche Punkte „er“ vorschlagen würde. Somit wurde ChatGPT ein weiterer Teilnehmer in der Gruppe, welcher auch fast als solcher behandelt wurde und mit seinem Input die Gruppe beratschlagen konnte.


[1] Eines der zentralen Ziele für ChatGPT CEO Sam Altman ist es, Produktivitäts- und Wachstumsprozesse zu beschleunigen. Lex Fridman Podcast (2023): Sam Altman: OpenAI CEO on GPT-4, ChatGPT, and the Future of AI. Url: https://www.youtube.com/watch?v=L_Guz73e6fw (abgerufen am 28.09.2023)

[2] Lühr, Henning/Peter, Ulrike (Hrsg.) (2021): Handbuch Digitale Teilhabe und Barrierefreiheit. Wiesbaden: Kommunal- und Schulverlag

[3] Knorr-Cetina, Karin (1998): Sozialität mit Objekten. Soziale Beziehungen in posttraditionalen Wissensgesellschaften. In: Rammert, Werner (1998) (Hrsg.): Technik und Sozialtheorie. Theorie und Gesellschaft. 42. Ausgabe. Frankfurt am Main: Campus Verlag, S.83 – 120.

[4] Maasen, Sabine/Kaiser, Mario (2010). Karin Knorr Cetina: Postsozialität. In: Engelhardt, Anina,  Kajetzke, Laura (Hrsg.) (2010): Handbuch Wissensgesellschaft: Theorien, Themen und Probleme, S. 87-98. Bielefeld: transcript Verlag. Url: https://doi.org/10.1515/9783839413241-009

[5] Marquardt, Manuela (2017): Anthropomorphisierung in der Mensch-Roboter Interaktionsforschung: theoretische Zugänge und soziologisches Anschlusspotential. In: Working Papers kultur- und techniksoziologische Studien. 1. Ausgabe 2017. Berlin: Universität Duisburg-Essen Campus Duisburg, Fak. für Gesellschaftswissenschaften, Institut für Soziologie. Url: https://www.ssoar.info/ssoar/handle/document/57037 (abgerufen am 28.09.2023)

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